Drei
WM-Titel in Folge holte der Stratos für
Lancia: 1974, 1975 und 1976
2,4-Liter-Sechszylinder-Mittelmotor
aus dem Ferrari Dino 246 GT
Mit Begriffen
wie Kult, Legende oder Mythos wird gern
und häufig hantiert, nicht immer scheint
dieser Anspruch gerechtfertigt. Im Falle
Lancia Stratos ist er es ohne Zweifel. Automobilenthusiasten,
vor allem solche mit Motorsport- und insbesondere
Rallye-Affinität, werden ihm diesen
Sonderstatus bescheinigen, ohne Wenn und
Aber.
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Lancia
Stratos HF
Der Lancia Stratos HF, so der vollständige
Name des magischen Keils, war Purismus pur,
ein hochspezialisierter Jäger und Sammler.
Bevorzugte Reviere: für die zivile
Autofahrt schwer zugängliche Terrains,
bedeckt mit Schotter, Asphalt oder Schnee.
Bevorzugtes Beuteschema: Renntrophäen,
am liebsten in Serie. So geschehen bei der
Rallye-Weltmeisterschaften: Drei WM-Titel
in Folge holte der Stratos für Lancia:
1974, 1975 und 1976. Personenkult in Form
einer Fahrerwertung gab es damals nicht.
Im Mittelpunkt stand der Dienst an der Marke.
Basta!
Das
radikal-futuristische Design bezweckte einen
möglichst minimalen Luftwidersstandsbeiwert
Publikumsdebüt
auf dem Turiner Autosalon 1970
Sein Debüt
vor internationalem Publikum gab der Stratos
vor vierzig Jahren, 1970, in Gestalt einer
Designstudie auf dem Turiner Autosalon.
Das Konzept: ein V-Vierzylinder-Mittelmotor,
längs vor der Hinterachse angeordnet.
Die Ehre des Antriebs wurde einem Serienmotor
aus dem Lancia Fulvia zuteil. Nicht unbedingt
ein Package, das man für ein Rallyeauto
erwartete, denn entgegen den Gesetzmäßigkeiten
einer fahrdynamikorientierten Gewichtsverteilung
saß der Pilot sehr weit vorn.
Das radikal-futuristische
Design der Studie war nicht etwa ein Modegag
oder schiere Effektheischerei, sondern resultierte
aus umfangreichen Tests im Windkanal zwecks
Minimierung des Luftwiderstands. Entsprechend
der Prämisse "Form follows function"
gestaltete sich auch der Zugang des Fahrers
an seinen Arbeitsplatz. Der war nur über
die aufklappbare Frontscheibe zugänglich,
Purismus eben.
Ein Extremist
auf dem Rallye Parcours
Als 1971 der
straßenzugelassene Lancia Stratos
HF "Stradale" vorgestellt wurde,
hatte die Evolution von der Studie zur Fahrmaschine
bereits nachhaltig gewirkt. In dem Rohbau
aus Stahl und glasfaserverstärktem
Kunststoff hatte der längs eingebaute
Vierzylinder einem quer installierten, diesmal
dem Ferrari Dino 246 GT entliehenen Sechszylindermotor
Platz gemacht.
Ein extremes
Auto war der Lancia Stratos HF aber geblieben.
Extrem keilförmig und extrem kompakt:
3,67 Meter lang, 1,70 Meter breit und mit
1,08 Metern Höhe flach wie die berühmte
Flunder. Die Fahrerposition war inzwischen
etwas schwerpunktfreundlicher in Richtung
Fahrzeugmitte gewandert, und für schnellste
Reparatureingriffe im Getümmel zukünftiger
Rallyeschlachten ließen sich Front-
und Heckpartie komplett aufklappen.
Die maßgeblichen
Köpfe hinter dem Projekt waren der
damalige Lancia-Sportchef Cesare Fiorio,
Werkspilot Sandro Munari und Mike Parkes,
Chefentwickler und technisches Gewissen.
Der britische Formel-1-Rennfahrer und Ingenieur
stieß 1974 zu Lancia und trug entscheidend
dazu bei, dass der Stratos konkurrenzfähig
wurde. Daran hatte es bei den ersten Rallyeeinsätzen
1972 nämlich noch gemangelt. Notabene:
Das Kürzel HF stand für High Fidelity
(engl.: Treue). Lancia benutzte diese Buchstabenkombination
mit Genehmigung der HF Squadra Corse, einem
Club von Lancia-Rennfahrern, und verwendete
sie auch später noch für besonders
sportliche Modelle.
Lancia
Stratos 1973 bis 1975
Kleinserie
zur Homologation des Stratos für den
internationalen Motorsport
Die zur Homologation des Stratos für
den internationalen Motorsport erforderliche
Kleinserie entstand beim Automobil-Couturier
Bertone - auch einer, dem man ohne Zögern
mit dem Superlativ Legende belegen darf.
Mindestens 400 Einheiten forderte das Gruppe
4-Reglement der internationalen Motorsportbehörde
FIA, knapp 500 Lancia Stratos HF sollen
es schließlich geworden sein. Präzisere
und vor allem übereinstimmende Zahlen
geben die verschiedenen Quellen nicht her.
Mit 2,4-Liter-V-Sechszylindermotor,
Dreiventiltechnik und 190 PS erstürmte
der Stratos die 100-km/h-Marke in 6,8 Sekunden
und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit
von 248 km/h. Werte, mit denen man auch
in der Sportwagenwelt von heute noch mitbieten
kann. Der erforderliche Budgetrahmen indes
für dieses gehobene Vergnügen
hat in der Zwischenzeit an Umfang deutlich
zugelegt. Seinerzeit für rund 15.000
DM zu haben, ist der Lancia Stratos HF heute
rare Sammlerware. Marktwert: ab 100.000
Euro aufwärts.
Der Stratos
im Motorsport: Die Lizenz zum Abräumen
Im April 1973
fuhr Sandro Munari auf der Firestone-Rallye
in Spanien den ersten Erfolg für den
Stratos ein. Einen Monat später folgte
ein zweiter Platz bei der Targa Florio und
im September ein weiterer Triumph bei der
Tour de France. Der Keil hatte sich warmgelaufen.
1974 kamen weitere Siege in schneller Folge.
Noch vor ihrer Homologation schlugen die
Stratos in der Prototypenwertung bei der
Sizilien-Tour und der Targa Florio zu, wenige
Tage nach der FIA-Zulassung des Autos gewann
Munari die Rallye San Remo. Es folgten weitere
Siege und Triumphe beim Giro d'Italia, bei
der "Rideau Lakes"in Kanada und
der Tour de Corse sowie ein dritter Platz
bei der britischen RAC-Rallye. Der WM-Titel
war damit für Lancia in trockenen Tüchern.
Ein Triumph, dem sich die Marke mit zwei
weiteren Weltmeisterschaften in den Folgejahren
1975 und 1976 selbst die Rallyekrone aufsetzten
sollte.
1975 ging
es munter weiter. Im Januar holte Sandro
Munari den ersten von drei aufeinanderfolgenden
Siegen bei der Rallye Monte Carlo, im weiteren
Jahresverlauf siegt Björn Waldegård
bei der Schweden- und der San Remo Rallye.
Bei der Safari Rallye in Kenia wird Munari
zweiter vor Waldegård.
Die britische
RAC-Rallye konnte der von Waldegård
gesteuerte Stratos zwar nicht gewinnen,
aber er hinterließ bleibenden Eindruck.
Nach gutem Start brach eine Antriebswelle,
die Mechaniker mussten zur Reparatur das
Heck abbauen. Nachdem Waldegård das
Rennen wieder aufgenommen hatte, markierte
er 40 der 72 Etappen mit seinen Bestzeiten.
Trotzdem wurde er am Ende aus der Wertung
genommen. Der Grund: Das Rennen fand auf
öffentlichen Straßen statt und
das Auto war ohne Rücklichter, Blinker
und Kennzeichen unterwegs!
1976 wurde
zum erfolgreichsten Jahr überhaupt
für den italienischen Rennkeil - mit
ersten und zweiten Plätzen bei der
Rallye Monte Carlo, den Rängen eins
bis drei in Portugal sowie Siegen in Sizilien,
beim Giro d'Italia und in Korsika. Ergebnis:
die dritte WM für Lancia in Folge.
Erfolgreichster
Stratos-Pilot ist ein Privatier
Siege in Serie
sammelte der Lancia Stratos aber nicht nur
im Werkseinsatz. Zu den erfolgreichsten
Privatiers zählte das Team Chardonnet
of France, dessen Topfahrer Bernard Darniche
noch Rennen gewann, als das Werksteam längst
Geschichte war. Mit 33 Siegen ging Darniche
als erfolgreichste Stratos-Fahrer aller
Zeiten in die Motorsportgeschichte ein.
Werkspilot Sandro Munari hatte "nur"
13mal triumphiert.
Drive fast,
die young - die Abwandlung eines bekannten
Songtitels des US-Countrysängers Faron
Young skizziert das weitere Schicksal des
Lancia Stratos. Denn 1977 beschnitt der
Fiat-Konzern das Lancia-Rennsportbudget
und konzentrierte sein Engagement statt
dessen auf den Fiat 131 Abarth. Nachdem
im Folgejahr der Hauptsponsor Alitalia den
gleichen Wechsel vollzog, bestritt das Stratos-Werksteam
nur noch Einsätze in Europa. Und 1979
war endgültig "finito".
Dennoch: Der
Stratos lebt. Wenn auch nur in Träumen,
Erinnerungen oder - im günstigsten
Fall - in der beheizten Garage eines von
Glück und Geld begünstigten Sammlers.
Dennoch scheint die puristische Grundidee
"schnell, keilförmig, offroadkompatibel"
noch durch die eine oder andere Hirnwindung
zu driften: So stellte 2005 das Londoner
Designstudio Fenomenon Ltd. um den Österreicher
Christian Hrabalek, Besitzer der weltgrößten
Sammlung klassischer Stratos-Modelle sowie
Rechteinhaber an Namen und Logo, auf dem
Genfer Automobilsalon eine vom Stratos inspirierte
Studie vor. Laut Hrabalek ein Fahrzeug nicht
nur für die westliche Welt, sondern
für kaufkräftige Automobilenthusiasten
in Schwellenländern, deren Straßenqualität
mit den Anforderungen moderner Sportwagen
nicht kompatibel ist. Investoren zur Finanzierung
dieses ambitionierten Konzepts fanden sich
bedauerlicherweise nicht.
Aber Visionen
leben schließlich davon, dass man
sie verfolgt.